Big Room Events im digitalen Zeitalter

by Alexander Badini, 21.07.2020

Big Room Events im digitalen Zeitalter

by Alexander Badini, 21.07.2020

Alexander BadiniAgile Transformation

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Die anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Pandemie stellen Unternehmen vor große, in vielen Fällen neue Herausforderungen. Innerhalb weniger Tage mussten Unternehmen lernen, (wo immer möglich) überwiegend mit Mitarbeitern im Homeoffice zu arbeiten und Meetings remote abzuhalten. Nur so konnte der (Regel-)Betrieb weiterhin aufrecht erhalten werden.

Auch für agile Arbeitsweisen stellt die fehlende Face-to-Face-Interaktion eine große Herausforderung dar – so ist die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht bereits in den Werten und Prinzipien des agilen Manifests fest verankert. In einem vorangegangenen Blogpost haben wir darüber berichtet, wie P3 Anfang April mit einem Kunden ein erstes „Big Room Event“, ein „Program Increment Planning“ (Großraumplanung im Scaled Agile Framework; kurz: PI Planning) mit über 50 komplett voneinander separierten Teilnehmern, erfolgreich vollständig ditial und remote durchgeführt hat.

Gerade in Zeiten des „Social Distancing“ unterstützen wir mit unserem P3-Leitgedanken „Business As Unusual“ Erfolgsgeschichten bei und mit unseren Kunden. So können wir voller Stolz sagen, nicht nur einen notdürftigen Umgang mit der Situation, sondern einen neuartigen und nachhaltigen Weg für Face-to-Face-Kommunikation in einer digitalisierten Unternehmenswelt mit eingeschlagen zu haben.

Eine Haupterkenntniss kann man jedoch bereits jetzt ableiten: unter diesen neuen Umständen gibt es kein allgemeingültiges Rezept zur Umsetzung für Remote Work und „Big Room Events“. Es gilt hierbei mehr denn je, die Durchführung individuell an die vorherrschenden Rahmenbedingungen anzupassen, um mit den spezifischen Rahmenbedingungen umzugehen.

Unsere vielfältigen Erfahrungen in den vergangenen Monaten erlaubten uns nun, verschiedene Anwendungsfälle voneinander abzugrenzen und in fünf verschiedene Use Cases aufzuteilen. Diese unterscheiden sich hierbei hinsichtlich

  • Anzahl der Teilnehmer (10, 100, oder sogar > 1.000)
  • die Einbindung (technisch, orgnisatorisch) von Partnern und Dienstleistern
  • die Berücksichtigung von Zeitzonen und Standorten (digitale Events bieten nun die Möglichkeit, den Teilnehmerkreis auf einen weltweiten Einzugsbereich zu vergrößern)
  • der Grad an Vernetzung und gemeinsamer Arbeitserfahrung (haben die Teilnehmer bisher schon zusammen gearbeitet haben, u.U. auch physisch an einem Ort)
  • der Art und Komplexität der jeweiligen Zielsetzung

USE CASE #1

“Die Ambitionierten”

„Die Ambitionierten“ stehen am Beginn ihrer agilen Transformation. Dieser Prozess wird noch weitaus herausfordernder, wenn die Teams bereits direkt zu Beginn ihrer Zusammenarbeit in einem „Remote Setting“ kollaborieren müssen. Um die fehlende, gemeinsame Arbeitserfahrung auszugleichen, gehen „die Ambitionierten“ deutlich motivierter ans Werk, um sich unabhängig von der äußeren Situation in der skalierten, agilen Zusammenarbeit schnell weiter entwickeln zu können.

Wann immer möglich wählen „die Ambitionierten“ ein alternierendes System zwischen vollständig remote und onsite PI-Plannings und Events, um die Entstehung eines Teamgefühls und Vertrauen zwischen den Teammitgliedern zu ermöglichen.

Insbesondere zu Beginn einer Zusammenarbeit ist der Bedarf an Face-to-Face-Kommunikation hoch, um die gemeinsame Vertrauensbasis herzustellen. Durch wiederkehrende onsite-Events lernen sich die Teams kennen, stimmen sich in ihren Arbeitsweisen aufeinander ab und legen damit den Grundstein, um auch in remote-Events dasselbe Maß an Produktivität zu erreichen.

Was im Allgemeinen für virtuelle „Big Room Events“ gilt, muss für „die Ambitionierten“ im besonderen Fokus stehen: der umfangreichen Vorbereitung des Events kommt höchste Bedeutung zu. Alle Rollen müssen vorab en-detail gebrieft werden, um ihre Verantwortlichkeiten zu verinnerlichen. Die Vorab-Priorisierung des Backlogs ist in diesem Setting essentiell.

Für die Umsetzung des Events wird ein Kommunikationstool wie Microsoft Teams, Skype oder Zoom genutzt, gepaart mit einem grafischen Kollaborationstool wie Miro oder DEON als Unterstützung. Letztere helfen dem jungen Team trotz geografischer Distanz bestmöglich zusammenzuarbeiten und Ideen weiter zu entwickeln. Um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren, wurden in diesem Use Case drei neue Rollen eingeführt: Der Online-Regisseur moderiert das „virtuelle Plenum“ und stellt sicher, dass Abstimmungsbedarfe zwischen den Teams erfüllt werden. Darüber hinaus unterstützen Online-Moderatoren die Scrum-Master in den Team-Breakout-Sessions bei Fragen zum Umgang mit den Tools. Um jederzeit technische Probleme, die der Online-Regisseur allein nicht beheben kann, lösen zu können, wird durchgehend ein Tech-Support eingesetzt. Ein Dry-Run des gesamten Setups vor dem tatsächlichen Meeting zeigt, ob Verbesserungspotentiale oder noch Anpassungsbedarfe vor der eigentlichen Durchführung bestehen.

Die Lernkurve der „Ambitionierten“ ist steil – insbesondere deshalb sollte der Retrospektive noch einmal große Bedeutung zukommen, um Lern-Iterationen weiter zu ermöglichen. Die Tools und das alternierende System remote/onsite haben sich jedoch bewährt, ebenso die zusätzlichen Rollen.

USE CASE #2

“Die jungen Wilden”

„Die jungen Wilden“ gehen ihren eigenen Weg – und kennen ihn dabei womöglich selbst noch nicht so genau. An ihrem „Big Room Planning“ nehmen nur Proxys und keine Entwickler selbst mit teil. Im Vorfeld wurde keine dedizierte Agenda, sondern nur ein grober Verlauf des Workshops festgelegt. Wird eine Kompetenz während des Planning-Workshops benötigt, wird sie erst bei Bedarf zum Meeting hinzugezogen und nimmt für den jeweiligen Zeitslot teil.

Man könnte diese Situation auch als „kreatives Chaos“ bezeichnen. „Die jungen Wilden“ entwickeln hoch komplexe Produkte, das Mindset in der Organisation ist sehr heterogen. Diese Differenzen sollten adressiert werden-. Ein Ziel des „Big Room Plannings“ ist es auch, die vielen Teilnehmer auf ein einheitliches Mindset einzuschwören. Das Hauptziel des Events: Commitment für die Ziele der kommenden Iteration.

Um das Event remote umzusetzen, nutzt dieser Organisations-Typ, analog Use Case 1, ein Kommunikationstool und ein ALM-Tool (Application Lifecycle Management) wie Jira oder Microsoft Azure DevOps. Ein Kollaborationstool zur Visualisierung, wie „die Ambitionierten“ es nutzen, wird hier nicht eingesetzt. Der Anlass hierfür: aufgrund offener Lizenzfragen war zum Zeitpunkt des Plannings noch keines in der Organisation verfügbar, wäre aufgrund des Bedarfs an kreativer Lösungsfindung allerdings wünschenswert gewesen.

Die größte Herausforderung der „jungen Wilden“: vieles wird versucht, um eine agile Kultur zu etablieren, jedoch bleiben diese Versuche oft nur oberflächlich und es fehlt ein breites, tiefergehendes Verständnis der Thematik und übergreifender Abstimmung. Dementsprechend hoch ist weiterhin der Bedarf an Trainings und Schulungen zu agilen Arbeitsweisen, um die Organisation in Bezug auf dieses Ziel weiterzuentwickeln. Die Workshopziele wurden erreicht, allerdings wäre wie genannt ein Kollaborationstool wünschenswert, ebenso gibt es Optimierungspotenzial in der Vorbereitung.

USE CASE #3

“Die Etablierten”

„Die Etablierten“ haben von allen fünf unserer Use Cases die meiste Erfahrung in ihrer Zusammenarbeit. Schon über zehn PIs lang arbeiten die Teams zusammen. Diese Erfahrung erlaubt es, ein extrem umfangreiches Big Room Planning mit mehreren Agile Release Trains und einer Gesamtzahl von fast 2.000 Teilnehmern durchzuführen. Auch in diesem Setting arbeiten bis auf wenige Teilnehmer derzeit alle aus dem Homeoffice und damit geografisch voneinander getrennt – man kann hier dadurch zudem von fast 2.000 Standorten sprechen, an denen dieser Workshop gleichzeitig stattfindet.

Ein Big Room Planning in dieser Größenordnung – hierfür ist eine besonders sorgfältige und umfangreiche Vorbereitung notwendig. Wie auch die beiden bisherigen Use Cases nutzen „die Etablierten“ ein Konferenztool, um über über Audio und Video zusammenarbeiten zu können. Ein visuelles Kollaborationstool wie Miro oder DEON kommt hier nicht zum Einsatz, der Grund hingegen ist ein anderer als bei den „jungen Wilden“: Das eingespielte Team legt höchsten Wert auf Effizienz – und um diese zu gewährleisten, wird auf bekannte Tools gesetzt, und nicht mit neuen, unbekannten Tools experimentiert.

Rückblickend betrachtet wurde in diesem Planning ein solches Tool auch gar nicht zwingend benötigt. Die Teilnehmer kennen sich gut und verstehen sich sprichwörtlich blind – die Visualisierung, die ein junges Team wie die Ambitionierten es braucht, ist für das gegenseitige Verständnis und die gemeinsame Arbeit im Planning selbst nicht mehr zwingend erforderlich.

USE CASE #4

“Die Bedenkenträger”

Der Use Case „Bedenkenträger“ beschreibt ein Unternehmen, bei dem Unternehmensphilosophie und -strategie weiterhin auf bewährte Mittel und Wege setzt (klassisches Projektmanagement). Ein vorsichtiges Herantasten an das agile Arbeiten in der Organisation wird derzeit in einer Pilotphase erprobt. Das Unternehmen befindet sich ebenso in einem frühen Reifestadium in Bezug auf virtuelle Teamzusammenarbeit.
Die Teilnehmer in diesem Projekt wurden zur Teilnahme an einen remote „Big Room Event“ ausgewählt, jedoch steht ihnen nur ein Bruchteil ihrer Arbeitszeit für ihre Projektrollen in dieser agilen Organisationseinheit zur Verfügung.

Die-Bedenkenträger-Big-Room-Events
Den Teamleitern wird als Proxys explizit Zeit für das Big Room Event eingeräumt, allerdings wie erwähnt als einzigen der Teilnehmer. Die Agenda des Events ist straff geplant, viele Änderungen kommen zusätzlich Ad-hoc hinzu.

Vor dem Start des Events gibt es zudem noch kein einheitliches Verständnis vieler grundlegender agiler Themen, beispielsweise der Abgrenzung von Epics und Stories. Auch zeigt sich der Einfluss klassischer Projekt-Methoden in der Zuweisung der Aufgaben – diese sollten eigentlich in den agilen Teams selbst verteilt/gewählt werden.

Technisch setzen sie das Planungsevent mit einem Konferenztool (MS Teams, Skype) kombiniert mit einem ALM-Tool um. Hierzu benötigt es ebenfalls eine umfangreiche Vorbereitung von Dokumenten-Templates, um einen reibungslosen Ablauf sicher zu stellen. Für die Einführung eines neuen Tools zur Visualisierung der Kollaboration war die Vorbereitungszeit zu knapp – alle Beteiligten sind mit der Vorbereitung und dem Umfeld bereits stark gefordert.

USE CASE #5

“Die grosse Familie”

„Die Große Familie“ charakterisiert eine größere Abteilung, die in Zeiten von „Social Distancing“ ihre Townhalls und Abteilungsklausuren remote veranstaltet. Die Teilnehmer kennen sich bereits im Vorfeld sehr gut, jedoch spürt die „Familie“, dass durch die ausschließliche digitale Interaktion die Bindung im Team abnimmt und Missverständnisse zunehmen. Die Einführung von täglichen „virtuellen Kaffeerunden“ hat sich hier im Vorfeld als hilfreich erwiesen, um den zwischenmenschlichen Austausch und somit den Zusammenhalt in der Abteilung aufrechtzuerhalten. Fokus dieser Runden liegt auf dem informellen Austausch, eine dedizierte (Arbeits-)Agenda gibt es nicht. Natürlich finden Familienmitglieder in diesem Forum auch die Gelegenheit, Fragen und Erkenntnisse beruflicher Natur auszutauschen, analog der physischen Kaffee-Küche im Büro.

Eine weitere Herausforderung waren „gemischte“ Events, in denen ein Teil der Teilnehmer remote, ein anderer Teil physisch im Büro vertreten war. In einem solchen Setting können die zugeschalteten Teilnehmer schnell zu Teilnehmern zweiter Klasse werden – ein schmaler Grat. Ein „alle oder keiner“-Ansatz (entweder alle Teilnehmer vor Ort oder alle remote) hat sich hier als erfolgreicher für solche Events erwiesen. Um möglichen Nachteilen entgegenzuwirken, sollte ein starker Moderator die Diskussion in einem gewissen Rahmen halten.

Wie bei allen anderen vorgestellten remote „Big Room Events“ Use Cases empfiehlt es sich auch bei der „Familie“, die Online-Meetings durch ein Kollaborations- und Visualisierungstool (wie z.B. Miro oder DEON) zu unterstützen, insbesondere bei mehr als 10 Teilnehmern insbesondere dann, wenn tatsächlich ein Workshop-Charakter im Vordergrund stehen soll, bei dem viele oder sogar alle Teilnehmer zum Einbringen von Ideen animiert werden sollen.

„Familien“ haben oft Berührungsängste und weniger Erfahrung mit solchen zusätzlichen Tools, da in der Vergangenheit (noch) weniger Bedarf an solchen Tools als bei den anderen Use Cases herrschte – Präsenztermine waren hier in der Abteilung die Regel . Hier ist das „Familienoberhaupt“ gefragt, solche Werkzeuge zu protegieren, ggf. mit initialer Unterstützung durch einen Coach.

Fazit

Unsere Erfahrungen der letzten Wochen und Monate haben uns geholfen, mit den beschriebenen Use Cases eine grobe Einordnung zu schaffen, welche Herausforderungen in verschiedenen Organisationen entstehen können, und wie man in Bezug auf Big Room Events bestmöglich die Ziele erreichen kann. Die Antworten auf Fragen wie: „Benötigen wir zusätzliche Rollen, um das Event stemmen zu können?“, „Welche Software macht uns ähnlich effizient wie bei einem Face-To-Face-Meeting?“ oder „Macht es Sinn, das eine oder andere Tool zur kollaborativen Zusammenarbeit einzusetzen?“ sind je nach Use Case sehr unterschiedlich.

Abschließend können wir feststellen: bei der Umsetzung eines virtuellen Big Room Events in diesen volatilen Zeiten gibt es nicht den einen richtigen Weg.

Die Planung unter Unsicherheit war stets schwierig, die Geschwindigkeit, in der sich Rahmenbedingungen ändern, jedoch nie höher als derzeit. In Bezug auf vollständig oder teilweise virtuelle Events sind Faktoren wie Teilnehmerzahl, technisches Setting oder Ziele (siehe Einleitung; LINK) ausschlaggebend und müssen bei der Planung stets mit bedacht werden.

Unsere Lessons Learned, abgeleitet aus den 5 Use Cases, für die methodische wie auch die technische Umsetzung sind die Folgenden:

  • Kommunikationstools (Audio, Video) inkl. Screensharing sind unerlässlich – MS Teams hat hier als Plattform inklusive Dateimanagement Vorteile, Skype oder Zoom als reine Kommunikationstools sind je nach Kontext ebenso möglich
    Wichtig: Limitierungen beachten (bspw. MS Teams im Standard 250 Teilnehmer je Session)
  • Visuelle Kollaborationstools wie Deon sind insbesondere bei Events mit Fokus auf kreative Fragestellungen von Vorteil; User sollten aber erfahren im Umgang sein, um den „Flow“ des Workshops nicht zu behindern; Je größer das Event, umso schwieriger kann sich der Einsatz gestalten
  • Gute Moderatoren sind bei allen Events gefragt, sowohl als neutraler Teilnehmer in Events in denen sich die Personen kennen, als auch als Inputgeber
  • Weitere Rollen können bei Bedarf eingeführt werden (je mehr Teilnehmer, umso sinnvoller sind bspw. technischer Support, Moderatoren für Kleingruppen)
  • Der Vorbereitungsaufwand auch bei virtuellen Events ist nicht zu vernachlässigen; steigender Aufwand mit steigender Teilnehmerzahl
  • Wir als P3 haben gelernt, die aktuelle Situation zu nutzen und die Vorteile von Remote-Events zu nutzen. In unseren Online-Schulungen kann live miterlebt werden, was es heißt, gemeinsam mit P3 neue, digitale Wege zu bestreiten.

Mehr dazu HIER. 

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