Das Coronavirus hat die Weltwirtschaft mit Produktionsunterbrechungen und Grenzbeschränkungen zum Erliegen gebracht. Für Polen ist der Binnenmarkt und der Export insbesondere zu seinem wichtigsten Wirtschaftspartner, Deutschland, zusammengebrochen. Auch wenn die Automobilwerke seit Ende April langsam wieder hochgefahren werden und die Autohäuser wieder öffnen, sind die wirtschaftlichen Prognosen für Polen dennoch für 2020 ins Negative gefallen. Lag die Prognose des polnischen Wirtschaftswachstums noch zu Jahresbeginn bei etwa 3% des BIP, so wurde sie im April auf -4,4% des BIP revidiert.
Die internationale Unternehmensberatung P3 group sieht in der Krise eine Chance für gesamt Zentralosteuropa (CEE). Diese Chance heißt Deglobalisierung. Aufgrund des Zusammenbruchs der asiatischen Lieferketten für die europäischen Automobilhersteller werden viele Einkaufszentralen ihre Strukturen überdenken und krisensicherere, leichter kontrollierbare und nach Regionen eingegrenzte Lieferketten aufbauen. Versorgungssicherheit gewinnt gegenüber reiner Kostenorientierung an Bedeutung.
Deglobalisierung – Europe first. P3 Poland
Damit bekommt Osteuropa – spez. Polen als kostengünstiger, hochwertiger und nearshore Zulieferer-Standort für Westeuropa seine große Chance sich weiter zu entwickeln und seine Position gegenüber Asien auszubauen. Dabei kann es sich nicht nur als attraktiver Produktionsstandort, sondern auch als echter Entwicklungsstandort positionieren. Bei Neuanläufen und durch Second-Source- und Relocation-Anforderungen der OEMs, aber auch von 1 Tiers, wird es vermehrt zu Anfragen kommen. Auf diese sollten die polnischen Zulieferer gut vorbereitet sein.
„P3 sieht hier zwei wesentliche Handlungsstränge.“
Der eine ist die ganz kurzfristige Sicherstellung des Wiederanlaufs der Automobilhersteller (act now).
Der andere ist die mittelfristige bis langfristige Wettbewerbsverbesserung (prepare the future). Die nächsten 6 Monate sind extrem entscheidend, um sich als Unternehmen bezogen auf die sich verändernden Rahmenrahmenbedingung neu aufzustellen. Haupthandlungsfelder sind:
Lesson learned aus dem Shutdown
Verbesserung der Wertschöpfung zur Steigerung der OEE
Validierung der Produktionsstrategie und des Footprints
Validierung der Produktportfolios
Verschlankung, Optimierung und vor allem die Digitalisierung von Kernprozessen im Einkauf, Entwicklung, Produktion und Sales
Nachhaltige Produktion mit verbesserter CO2-Bilanz entlang der Supply Chain
Die P3 Group ist seit mehr als 20 Jahren unteranderem in der Automobil-Branche tätig. Das Unternehmen verfügt über 17 Standorte auf 3 Kontinenten. Die 10 Tochtergesellschaften beschäftigen mehr als 1.000 Berater und Software-Entwickler.
Im Raum CEE entwickelt und testet P3 bereits seit Jahren innovative Software und IT-Lösungen für unterschiedliche Branchen. Diese reichen von der individuellen Lösung bis hin zu Cloud-basierten IoT-Services. Sie liefern End-to-End-Lösungen im Bereich Security Consulting und gewährleisten einen nahtlosen Service- und Produkt-Rollout.
Darüber hinaus berät P3 in CEE die Automobilzuliefererindustrie. Die lokalen P3 Experten in der Zulieferindustrie haben langjährige Erfahrung in Werks- und Produktanläufen. Damit können sie die polnische Automobilindustrie nicht nur im kurzfristigen Hochfahren unterstützen, sondern auch bei der Reorganisation und Effizienzsteigerung zukunftsfähig machen.
„Genau jetzt brauchen die Unternehmen eine klare Strategie, um sich den neuen Rahmenbedingungen zu stellen und diese als Chance zu nutzen. Covid-19, die Elektromobilität, digitale Disruption sowie das Thema Nachhaltigkeit in der Lieferkette bieten geradezu exzellente Voraussetzungen sich als Unternehmen neu zu positionieren. Der Wettbewerb ist groß und deshalb sollten die Unternehmen in den nächsten 6 Monaten eine klare Strategie formuliert haben.“
RAINER AITS
Executive Board der P3
Kurzfristige Sicherung des Wiederanlaufs:
Seit Ende April 2020 wurden von den Regierungen die eingeführten Beschränkungen vorsichtig wieder zurückgenommen und die Automobilhersteller in Europa beginnen ihre Produktionswerke wieder anzufahren. So hat das Volkswagenwerk (u.a. Poznań, Września, Swarzędz) die Produktion bereits am 27. April wieder aufgenommen. Anfänglich betrug die Produktionskapazität etwa 20% und wurde ab Mitte Mai im 3-Schichtbetrieb auf 80% der Gesamtproduktionskapazität erhöht.
Damit steht die gesamte Automobilindustrie vor der Herausforderung diesen Wiederanlauf effizient und damit kostengünstig unter den bestehenden Covid-19-Auflagen abzusichern. Dabei steht nicht nur der eigene Produktionsprozess im Fokus, sondern es gilt auch die ausreichende Materialzulieferung im Blick zu haben. Denn die gesamte international verzahnte Lieferkette vom Rohstofflieferanten bis zum Logistiker war auf perfektes Zeitmanagement und geringe Margen getrimmt und soll nun wieder anlaufen. Das birgt große Risiken und wirft die Frage auf, wer diese trägt, z.B. bei erhöhten Transportkosten oder Schadensersatzansprüchen für Lieferverzüge.
Es sollten im Vorfeld alle Verträge einzeln geprüft werden, um die unter den aktuellen Bedingungen geltenden Pflichten aber auch Chancen zu erkennen. Deren Identifizierung ist gerade bei internationalen Geschäftsbeziehungen nicht trivial. Diese Prüfung ist dabei nicht nur in Richtung der Zulieferer, sondern auch in Richtung der Kunden durchzuführen.
Herr Aits erklärt, dass die Unternehmen einen besonderen Focus auf Sicherung der Liquiditäts- und Investitionsabsicherung, insbesondere vor dem Hintergrund der finanziellen Anspannung durch die Covid-19-bedingte Produktionsunterbrechung und den sukzessiven Wiederanlauf unterhalb der Kammlinie, haben müssen. Bei stockender Materialverfügbarkeit und unter den neuen Hygienebedingungen werden die Produktionskosten steigen. Die Verträge sind insbesondere Richtung der Kunden, aber auch der Zulieferer, auf die Preisgestaltung zu prüfen. Welche Preise sind für welche Zeiträume unter welchen Bedingungen gültig? Gibt es eine Abhängigkeit von Bestellvolumina, Rohstoffindizes oder gar Auslastungen? Etc.
Mittelfristige Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit:
Parallel zur kurzfristigen Sicherung des Wiederanlaufs ist es die Herausforderung die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere zu China. Denn in den Jahren 2009-2018 stiegen die Ausfuhren der polnischen Automobilzulieferer zwar um rund 8 Mrd. EUR. Doch die chinesischen Automobilzulieferer konnten ihren Export in diesem Zeitraum um rund 270 Mrd. EUR steigern. Auch, wenn der polnische Absatzmarkt primär in Westeuropa war und die Chinesen den Weltmarkt bedienten, so zeigt diese einfache Aussage, wie wichtig es für polnischen Markt sein wird, einen kleinen Teil des derzeit im China produzierten Volumens zu bekommen.
Als erster Schritt ist konkret aus der eigenen Vergangenheit zu lernen. Durch Lessons-Learned-Vorgehen ist im Detail zu ermitteln, warum es Projektplanungsabweichungen gab, Effizienz-Schwankungen auftraten oder Angebote nicht erfolgreich waren – auch vor dem Hintergrund der asiatischen Konkurrenz. Hieraus ist eine Stärken-Schwächen-Analyse zu erstellen, die dem zukünftigen Vorgehen die Ziele und Prioritäten vorgibt.
Darüber hinaus muss geprüft werden welche strategischen Vorteile jetzt auf- und ausgebaut werden können. Hierzu gehört auch die organisatorische Aufstellung in Entwicklung, Vertrieb und Service. Bestehende Vorhaben sind dabei unter den neuen Rahmenbedingungen zu überprüfen und neu zu bewerten.
Es wird notwendig sein, Prozesse neu abzubilden, zu standardisieren und zu optimieren, um Effizienz und Rentabilität zu steigern. Einfachheit, Flexibilität und Digitalisierung werden eine übergeordnete Rolle spielen, wenn es darum geht, einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz aus Niedriglohnländern zu erlangen. Die so vorbereiteten Prozesse, unterstützt durch IT-Tools, ermöglichen ihre Online-Überwachung und das Treffen der richtigen Geschäftsentscheidungen. Darüber hinaus wird das Management technischer Änderungen kein Problem mehr darstellen, sondern im Gegenteil zu einem Instrument des Wettbewerbsvorteils werden, dass die Rentabilität von Projekten erhöht.
Kernprozesse zur mittelfristigen steigerung der wettbewerbsfähigkeit sind aus sicht von p3 die automatisierung sowie die digitalisierung von produktion und logistik.
1 | Automatisierung der Produktion:
Die Robotisierung ist heute eine Notwendigkeit und die fortschreitende Entwicklung der künstlichen Intelligenz sowie die Automatisierung einfacher Prozesse ist eine gute Chance zur Effizienzsteigerung. Im Kampf um neue Produktionsaufträge ist es zwingend notwendig, auf dem Weg zu „Industrie 4.0“ zu handeln. Gegenwärtig kommen in Polen 42 Roboter auf 10.000 Beschäftigte. In den meisten Ranglisten der Welt, Europas und der Region liegt Polen hinten. Vorreiter in Europa ist Deutschland mit 338 Robotern auf 10.000 Beschäftigte. Z.B Tschechien und Ungarn setzen 135 bzw. 84 Roboter pro 10.000 Arbeitnehmer ein.Ein gutes Beispiel für zukunftsorientiertes Denken ist das ZF-Werk in Saarbrücken, das Getriebe und Getriebekomponenten herstellt. Mit dem Ziel die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Niedriglohnländern zu erreichen und damit den Standort in Deutschland zu sichern wurde die interne Logistik umgestaltet. Vollautomatische Regalsysteme, die von fahrerlosen Transportfahrzeugen (AGV) bedient werden, wurden eingeführt. Live-Bestandsübersicht, digitales Flottenmanagement, deutliche Reduzierung unproduktiver Leerfahrten und ständige Verfügbarkeit der Fahrzeuge führten zu einer Erhöhung der Effizienz (OEE) des Gesamtsystems. Hiermit konnten die Produktionskosten entscheidend gesenkt werden.
P3 hat hierbei schon viele Unternehmen unterstützt. Mit Digitalisierung und Automatisierung konnten in der Produktion bis zu 20% Effizienz-Steigerung kosteneffektiv erreicht werden. Mit fertigen Standardvorgehensweisen und pragmatischer Hands-on Mentalität werden Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette begleitet. Dabei wird Wert daraufgelegt, dass die Umsetzbarkeit einfach ist – ganz nach dem Motto „die PS schnell auf die Straße zu bringen“. In den Bereichen Entwicklung, Vertrieb und Service sieht die P3 noch stärkere Optimierungsmöglichkeiten.
2 | Digitalisierung von Produktion und Logistik
Auch die Digitalisierung von Produktion und Logistik wird unumgänglich. Obwohl zur Unternehmenssteuerung z.B. ERP-Klassensysteme in großen und mittelgroßen polnischen Unternehmen immer häufiger eingesetzt werden (nach Angaben des Statistischen Zentralamts (GUS) verfügten 2019 54% der mittleren und 87% der großen Unternehmen über ERP), ist ihre Grundfunktionalität nicht mehr ausreichend.
Der erste Schritt besteht darin, den Prozess auf der Grundlage von Systemen zu organisieren, die eine Überwachung in Echtzeit und eine automatische Datenanalyse und Visualisierung der verfolgten Parameter ermöglichen. Diese Funktionalität wird von Systemen der SCADA-Klasse (Supervisory Control and Data Acquisition) zur Verfügung gestellt.
Ziel muss es sein, ein System zu implementieren, dass eine umfassende Überwachung der Prozesse ermöglicht. Manager auf allen Ebenen benötigen Berichte in Echtzeit. Damit können sie sofort auf sich abzeichnende Abweichungen reagieren und deren negative Auswirkungen minimieren sowie durch Analyse der Vergangenheitsdaten einen auf Fakten basierten KPV-Prozess durchzuführen.
Die Digitalisierung interner Prozesse ist hilfreich, um die Anforderung der Automobilhersteller nach Transparenz der Prozesse bei den Zulieferern, zu erfüllen. Die Berichterstattung über die mit den Herstellern vereinbarten KPI‘s kann dank der gesammelten Daten z.B. mit Hilfe von SCADA und der Übermittlung automatisch erstellter Berichte an den Kunden durchgeführt werden. Dies erhöht die Performance des Lieferanten und zeigt dessen zuverlässige Prozessüberwachung.
Zur Verbesserung des Informationsflusses ist auch die eigene Lieferkette einzubinden, um die Versorgung der Produktion durch nahtlose Kommunikation robuster zu gestalten. Die grundlegenden Methoden sind EDI (Electronic Data Interchange) oder die Nutzung von B2B-Internetplattformen, die einen automatischen Datentransfer ermöglichen.
Fazit:
In der Deglobalisierung sieht die P3 Group gerade für die polnische Automobilindustrie, aber auch für die gesamte Region CEE eine große Chance. Um diese zu nutzen zu können, sollten die Unternehmen umgehend ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern.
P3 hält dabei 5 Handlungsfelder für entscheidend:
- Sofortiger Herstellung der Lieferfähigkeit
- Effiziente und nachhaltige Produktion
- Anpassung des Produktportfolio und des Produktionsnetzwerk
Digitalisierung von Prozessen - Sicherstellung der Nachhaltigkeitsanforderungen in der Supply Chain
- Jetzt, wo die Bewertung und Neugestaltung der Lieferketten beginnen, ist es wichtig die strategischen Weichen zu stellen, um sich als zuverlässiges und wettbewerbsfähiges Unternehmen erfolgreich am Markt zu platzieren.