So bleibst du handlungsfähig und proaktiv in herausfordernden Zeiten

Wir wissen nicht, wie die Welt von morgen aussehen wird. Aktuell prägen Konflikte Naturkatastrophen, Lieferschwierigkeiten und Fachkräftemangel unsere Nachrichten, um nur einige der unvorhersehbaren Faktoren zu nennen, die Planbarkeit wie ein Relikt vergangener Zeit in unserer komplexen und hochgradig vernetzten Welt erscheinen lassen.

Wenn Unsicherheiten zunehmen und gewohnte Lösungsansätze nicht mehr greifen, stellt sich die zentrale Frage: Wie bleibt man handlungsfähig, wenn Planung kaum noch möglich erscheint? Denn einfach abzuwarten, bis sich die Herausforderungen von selbst lösen, ist selten eine nachhaltige Strategie. Krisen erfordern aktives Handeln – auch dann, wenn Unsicherheiten bestehen und bewährte Lösungen nicht mehr greifen.

Dynamische Veränderungsprozesse sind unweigerlich mit Unwägbarkeiten verbunden – sie sind ein typisches Merkmal dynamischer Veränderungsprozesse. Etablierte Lösungsansätze erweisen sich immer öfter als ineffektiv, während neue Strategien noch Zeit für ihre Entwicklung und Etablierung benötigen. In dieser Übergangsphase stehen sowohl Entscheidende als auch Teams und Mitarbeitende vor komplexen Herausforderungen: Sie müssen agieren, obwohl die Konsequenzen ihrer Entscheidungen nicht vollständig absehbar sind. Relevante Informationen für das Finden von Entscheidungen fehlen und die Zeitfenster, um Entscheidungen zu treffen, werden kürzer. Gerade weil Unsicherheiten und unvorhersehbare Veränderungen die neue Realität sind, braucht es Ansätze, die nicht auf statischem Planen beruhen, sondern dynamische Anpassungsfähigkeit ermöglichen. In diesen Zeiten bieten die Werte des Agilen Manifests eine wertvolle Orientierung, um handlungsfähig zu bleiben. Die Werte wie Flexibilität, Zusammenarbeit und kontinuierliche Anpassung dürfen nicht nur abstrakte Ideale sein, sondern sollen als Leitlinien dienen, damit Organisationen und Teams trotz unvorhersehbarer Herausforderungen schnell und effektiv agieren können.

Das Agile Manifest bietet einen klaren Rahmen, der Flexibilität und Zusammenarbeit in den Vordergrund stellt. Besonders der Wert „Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge“ betont die Bedeutung von Kommunikation und Zusammenarbeit. Der Wert „Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans“ zeigt, dass wir flexibel auf Veränderungen reagieren müssen.

Wie gelingt es, diese Werte in der Praxis zu leben und nicht in Passivität zu verfallen? Der folgende Artikel zeigt, wie Organisationen diese agilen Prinzipien umsetzen können, um flexibel, proaktiv und effektiv zu handeln.

Der erste Schritt zur Veränderung: Akzeptanz

Akzeptanz bedeutet nicht, ein Problem einfach hinzunehmen, sondern es als gegeben zu betrachten, um den inneren Widerstand abzubauen (1) . Für die menschliche Psyche ist es wichtig, Situationen anzunehmen, weil Widerstand zu Stress und Erschöpfung führt. Akzeptanz gibt uns die nötige innere Ruhe, um Lösungen zu finden. Wenn wir die Realität akzeptieren, statt uns gegen sie zu wehren, eröffnen sich neue Perspektiven und Veränderung wird möglich. Nur durch Annahme können wir mit der Unbeständigkeit umgehen und produktiv bleiben. Widerstand kostet unnötig Energie, die wir besser in Lösungen investieren können. Trotz der vielen äußeren Faktoren, die wir nicht beeinflussen können, gibt es immer noch Bereiche, in denen wir selbst aktiv werden können. Der agile Wert „Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge“ legt den Fokus genau auf diese individuelle Handlungsfähigkeit. Es geht nicht darum, sich von den äußeren Umständen lähmen zu lassen, sondern vielmehr zu erkennen, was im eigenen Einflussbereich liegt und hier zu handeln.

Der „Circle of Influence“ ist ein Konzept, das uns hilft, klar zu unterscheiden, welche Aspekte wir kontrollieren können und welche nicht. Wenn wir uns auf das konzentrieren, was wir wirklich verändern können – sei es durch kleine, aber gezielte Handlungen oder durch den Einfluss auf unsere unmittelbare Umgebung – stellen wir sicher, dass wir unsere Energie sinnvoll einsetzen. Agilität bedeutet, flexibel und pragmatisch zu handeln, um voranzukommen, auch wenn die äußeren Bedingungen uns herausfordern.

Dieser Ansatz fordert uns heraus, Verantwortung zu übernehmen und uns auf Lösungen zu fokussieren, die wir tatsächlich umsetzen können. Denn die größten Fortschritte entstehen nicht aus dem Widerstand gegen Unveränderbares, sondern aus der aktiven Teilnahme an dem, was innerhalb unserer Macht liegt. Dabei ist es auch wichtig, die eigenen Grenzen zu erkennen und sich Unterstützung zu suchen, wenn der Druck zu hoch wird – sei es durch Teamarbeit oder durch die Zusammenarbeit mit anderen. In einem agilen Umfeld bedeutet dies, sich nicht nur als Individuum, sondern auch als Teil eines Teams zu verstehen, das gemeinsam auf ein Ziel hinarbeitet.
Die Anerkennung der eigenen Handlungsspielräume und die klare Unterscheidung zwischen dem, was wir verändern können, und dem, was wir akzeptieren müssen, hilft uns nicht nur, handlungsfähig zu bleiben, sondern auch, Stress zu reduzieren und Unsicherheiten konstruktiv zu begegnen.

Setze Prioritäten und bleibe fokussiert

Die Konfrontation mit einer Vielzahl an Aufgaben kann überwältigend wirken und die Motivation stark beeinträchtigen. Das menschliche Gehirn funktioniert am effektivsten, wenn es sich auf überschaubare, konkrete Schritte fokussieren kann. In Situationen, in denen die Anzahl der Aufgaben schier endlos erscheint, ist es entscheidend, zu priorisieren und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Genau hier kommt die Backlog-Priorisierung ins Spiel. Sie hilft dabei, die wichtigsten und dringendsten Aufgaben zu identifizieren und sie in einer klaren Reihenfolge abzuarbeiten.


In agilen Teams ist es besonders wichtig, den Themenspeicher regelmäßig zu überprüfen und anzupassen. So stellen wir sicher, dass alle Teammitglieder an den Aufgaben arbeiten, die im aktuellen Kontext die größte Relevanz besitzen. Das konsequente Setzen von Prioritäten verhindert, dass sich das Team in der Flut von Aufgaben verliert und stattdessen gezielt auf die wichtigsten Ziele hinarbeitet. Diese klare Struktur steigert nicht nur die Effizienz, sondern unterstützt auch die Motivation, da der Fortschritt sichtbar wird und die Aufgaben überschaubar bleiben.


Ein weiterer nützlicher Ansatz, um Prioritäten zu setzen, ist das WIP-Limit (Work in Progress), das auf 1 festgelegt wird. So wird garantiert, dass nur an einer Aufgabe gleichzeitig gearbeitet wird. Dies fördert die Konzentration, reduziert Multitasking und verbessert die Qualität der Arbeit. Das Team bleibt fokussiert, Stress wird verringert und der Fortschritt wird transparent. Durch diese Methode entsteht ein konstanter Arbeitsfluss, der es dem Team ermöglicht, die Aufgaben effizient und mit einer klaren Struktur zu bearbeiten.

Formuliere Ziele – Klarheit für zielgerichtetes Handeln schaffen

Das Priorisieren von Aufgaben ist nur dann erfolgreich, wenn klare Ziele definiert sind. Nur so lässt sich die Relevanz von Aufgaben richtig einschätzen und in eine logische Reihenfolge bringen. Die Festlegung von Zielen ist daher eine essenzielle Methode, um Veränderungen und Herausforderungen gezielt zu bewältigen. Eine klare Vorstellung davon, was als Nächstes erreicht werden soll, erleichtert die Identifikation von Prioritäten und stellt sicher, dass alle Beteiligten auf die richtigen Aufgaben fokussiert sind.

Die Klärung der aktuellen Ziele und die transparente Kommunikation der nächsten Schritte tragen maßgeblich zur Resilienz einer Organisation bei (2). Indem die Frage nach dem Vorrang und der Reihenfolge von Aufgaben beantwortet wird, erhalten Mitarbeiter ein klares Verständnis davon, was gerade wichtig ist und wie sie ihre Energie gezielt einsetzen können. Dies gibt ihnen ein Gefühl der Sicherheit und stärkt den Zusammenhalt im Team.

Ein effektives Mittel zur Zielsetzung ist die Anwendung von OKRs (Objectives and Key Results). Diese Methode hilft dabei, klare und ambitionierte Ziele (Objectives) zu formulieren und diese mit messbaren Ergebnissen (Key Results) zu verbinden. Durch diese Struktur können Aufgaben direkt mit den übergeordneten Zielen verknüpft werden. Regelmäßige Überprüfungen der OKRs sorgen für Transparenz und bieten eine kontinuierliche Orientierung. Dies ermöglicht es dem Team, flexibel zu bleiben und sich an Veränderungen anzupassen, während es gleichzeitig mit einem klaren Fokus auf die wichtigsten Aufgaben hinarbeitet.

Perspektive schaffen – Veränderung als Chance begreifen

Die Wahrnehmung von Herausforderungen ist immer individuell und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Persönliche Eigenschaften wie Optimismus oder Pessimismus, kognitive Denkmuster, frühere Erfahrungen und der momentane emotionale Zustand beeinflussen, wie wir mit schwierigen Situationen umgehen. Es ist entscheidend, Perspektiven zu entwickeln, um Herausforderungen nicht als unüberwindbare Hindernisse zu sehen, sondern als vorübergehende Phasen, die wir meistern können.

Die Fähigkeit, Perspektive zu schaffen, bedeutet, die Aufmerksamkeit auf mögliche positive Entwicklungen zu lenken und die Hoffnung sowie Motivation zu stärken, schwierige Zeiten zu überstehen. Ein klarer Blick auf realistische Ziele und Lösungsansätze hilft dabei, sich nicht in negativen Gedankenspiralen zu verlieren. Perspektiven eröffnen den Raum für Lösungen und bieten Orientierung, insbesondere in unsicheren und herausfordernden Zeiten.

Im Kontext der Agilität ist Perspektive ein entscheidender Wert, da sie uns dabei hilft, Veränderungen nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu verstehen.

Die Dinge in die Hand nehmen! – Selbstorganisation und Selbstwirksamkeit stärken

In unsicheren Zeiten ist es entscheidend, proaktiv zu handeln und Verantwortung zu übernehmen. Selbstorganisation und Selbstwirksamkeit sind dabei zentrale Elemente, die sich gegenseitig verstärken und den Weg ebnen, Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen.

Selbstorganisation bedeutet, Aufgaben, Zeit und Ressourcen so zu strukturieren, dass man eigenständig und effizient Ziele erreicht. Dies ermöglicht es, den Überblick zu behalten und notwendige Schritte zu planen. Selbstwirksamkeit hingegen beschreibt das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, durch eigenes Handeln etwas zu bewirken. Wer an sich selbst glaubt, erkennt, dass er oder sie die Kontrolle über die Situation übernehmen kann und Verantwortung trägt.

Ein Scrum-Team zeigt sich in dieser Dynamik deutlich. Eine Person, die eher reaktiv handelt, reagiert auf Anforderungen und wartet auf Anweisungen. Dies führt häufig zu Verzögerungskosten (Cost-of-Delay) und einem Mangel an Eigenverantwortung. Im Gegensatz dazu wird eine proaktive Person aktiv, analysiert und priorisiert Anforderungen und handelt eigenständig. Sie erkennt frühzeitig Herausforderungen und geht sie aktiv an. Durch diese Handlungsweise stärkt sie ihre Selbstorganisation und hat gleichzeitig das Gefühl der Selbstwirksamkeit, da sie durch ihr eigenes Handeln Ergebnisse erzielt.

Die Mischung macht’s: Ein erfolgreiches Team benötigt ein gutes Gleichgewicht zwischen Selbstorganisation und Selbstwirksamkeit (3). Proaktives Handeln, das Setzen klarer Ziele und das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Herausforderungen zu bewältigen, schaffen Kontrolle und fördern das Vertrauen in die eigene Wirksamkeit (4). Jeder Erfolg durch Selbstorganisation stärkt das Gefühl, etwas bewirken zu können, was wiederum die Motivation steigert, noch strukturierter zu handeln. (5)

In dieser Wechselwirkung liegt der Schlüssel: Durch Selbstorganisation werden wir handlungsfähiger, und durch die Erfahrung von Selbstwirksamkeit erkennen wir, wie wichtig unser eigenes Handeln für den Erfolg ist. Auch Rückschläge sind dann nicht als Scheitern zu verstehen, sondern als wertvolle Lernmöglichkeiten, die uns dabei helfen, unsere Selbstorganisation und Selbstwirksamkeit kontinuierlich zu verbessern.

Gefühle zulassen – Emotionen als Ressource nutzen

Gefühle und Arbeit werden oft als zwei getrennte Bereiche betrachtet (6), doch in der Realität lassen sich Emotionen nicht einfach ausblenden, gerade in intensiven oder herausfordernden Arbeitsphasen. Sie beeinflussen unser Handeln, auch wenn wir sie nicht immer direkt wahrnehmen. Ein geschützter Raum, wie ihn zum Beispiel Retrospektiven bieten, in dem Gefühle offen ausgesprochen werden können, ist von großer Bedeutung. Dieser Raum fördert nicht nur das Wohlbefinden, sondern trägt auch dazu bei, Spannungen abzubauen und Klarheit zu gewinnen.

 

Indem wir die Möglichkeit schaffen, Belastendes zu teilen, verlieren diese Emotionen oft an Intensität und öffnen Platz für neue Perspektiven und Lösungen. Ein solches Vorgehen stärkt das Vertrauen im Team und gibt jedem Einzelnen das Gefühl, gehört und verstanden zu werden. Dieser Ansatz fördert eine wertschätzende Kommunikation und ermöglicht es, Herausforderungen konstruktiv anzugehen. Offenheit, Ehrlichkeit und Vertrauen bilden dabei die Grundlage, um die Perspektive wieder nach vorne zu richten und gemeinsam weiter voranzuschreiten.

In agilen Teams wird es als ebenso wichtig erachtet, Raum für emotionale Interaktionen zu schaffen wie für sachliche Entscheidungen. Hier zeigt sich der agile Wert „Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge“, da es darum geht, den Menschen als Ganzes zu verstehen und zu integrieren, anstatt sie nur als „Funktionsträger“ im System zu sehen.

Herausforderungen und Veränderung sind unvermeidlich – doch unsere Reaktion darauf liegt in unserer Hand. Indem wir Akzeptanz üben, klare Prioritäten setzen und uns auf lösungsorientiertes Handeln fokussieren, bleiben wir auch in herausfordernden Zeiten proaktiv. Agilität bedeutet nicht nur Anpassungsfähigkeit, sondern auch das Bewusstsein für den eigenen Einflussbereich.

Wenn wir Selbstorganisation und Selbstwirksamkeit stärken, können wir nicht nur unsere individuelle Resilienz ausbauen, sondern auch als Team gemeinsam wachsen. Klare Ziele, offene Kommunikation und ein bewusster Umgang mit Emotionen sind entscheidende Faktoren, um Veränderungen nicht als Hindernis, sondern als Chance zu begreifen.
Letztendlich geht es darum, den Fokus nicht auf das Unkontrollierbare zu richten, sondern aktiv zu gestalten, was in unserer Macht liegt. Denn wer sich seiner Handlungsmöglichkeiten bewusst ist und Verantwortung übernimmt, bleibt nicht nur flexibel, sondern kann Krisen als Anstoß für nachhaltige Entwicklung nutzen.

[1] Eifert, G. H. (2022). Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) (2., überarb. Aufl.). Hogrefe Verlag.

[2] BSI Group. (2014). BS 65000:2014 Organizational resilience – Guide to building a resilient organization. British Standards Institution.
[3] Brinkmann, B. J., & Schattenhofer, K. (2020). Erfolgreiche Teams in der Selbstorganisation. Vahlen.

[4] Bandura, A. (1997). Self-Efficacy: The Exercise of Control. W. H. Freeman and Company.

[5] Locke, E. A., & Latham, G. P. (2002). Building a practically useful theory of goal setting and task motivation. American Psychologist, 57(9), 705–717.

[6] Küpers, W., & Weibler, J. (2005). Emotionsarbeit und Burnout: Empirische Befunde und theoretische Perspektiven. In: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 49(2), 57-68.

Ansprechpartner

Jasmin Helbig

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So bleibst du handlungsfähig und proaktiv in herausfordernden Zeiten

Wir wissen nicht, wie die Welt von morgen aussehen wird. Aktuell prägen Konflikte Naturkatastrophen, Lieferschwierigkeiten und Fachkräftemangel unsere Nachrichten, um nur einige der unvorhersehbaren Faktoren zu nennen, die Planbarkeit wie ein Relikt vergangener Zeit in unserer komplexen und hochgradig vernetzten Welt erscheinen lassen.

Wenn Unsicherheiten zunehmen und gewohnte Lösungsansätze nicht mehr greifen, stellt sich die zentrale Frage: Wie bleibt man handlungsfähig, wenn Planung kaum noch möglich erscheint? Denn einfach abzuwarten, bis sich die Herausforderungen von selbst lösen, ist selten eine nachhaltige Strategie. Krisen erfordern aktives Handeln – auch dann, wenn Unsicherheiten bestehen und bewährte Lösungen nicht mehr greifen.

Dynamische Veränderungsprozesse sind unweigerlich mit Unwägbarkeiten verbunden – sie sind ein typisches Merkmal dynamischer Veränderungsprozesse. Etablierte Lösungsansätze erweisen sich immer öfter als ineffektiv, während neue Strategien noch Zeit für ihre Entwicklung und Etablierung benötigen. In dieser Übergangsphase stehen sowohl Entscheidende als auch Teams und Mitarbeitende vor komplexen Herausforderungen: Sie müssen agieren, obwohl die Konsequenzen ihrer Entscheidungen nicht vollständig absehbar sind. Relevante Informationen für das Finden von Entscheidungen fehlen und die Zeitfenster, um Entscheidungen zu treffen, werden kürzer. Gerade weil Unsicherheiten und unvorhersehbare Veränderungen die neue Realität sind, braucht es Ansätze, die nicht auf statischem Planen beruhen, sondern dynamische Anpassungsfähigkeit ermöglichen. In diesen Zeiten bieten die Werte des Agilen Manifests eine wertvolle Orientierung, um handlungsfähig zu bleiben. Die Werte wie Flexibilität, Zusammenarbeit und kontinuierliche Anpassung dürfen nicht nur abstrakte Ideale sein, sondern sollen als Leitlinien dienen, damit Organisationen und Teams trotz unvorhersehbarer Herausforderungen schnell und effektiv agieren können.

Das Agile Manifest bietet einen klaren Rahmen, der Flexibilität und Zusammenarbeit in den Vordergrund stellt. Besonders der Wert „Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge“ betont die Bedeutung von Kommunikation und Zusammenarbeit. Der Wert „Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans“ zeigt, dass wir flexibel auf Veränderungen reagieren müssen.

Wie gelingt es, diese Werte in der Praxis zu leben und nicht in Passivität zu verfallen? Der folgende Artikel zeigt, wie Organisationen diese agilen Prinzipien umsetzen können, um flexibel, proaktiv und effektiv zu handeln.

Der erste Schritt zur Veränderung: Akzeptanz

Akzeptanz bedeutet nicht, ein Problem einfach hinzunehmen, sondern es als gegeben zu betrachten, um den inneren Widerstand abzubauen (1) . Für die menschliche Psyche ist es wichtig, Situationen anzunehmen, weil Widerstand zu Stress und Erschöpfung führt. Akzeptanz gibt uns die nötige innere Ruhe, um Lösungen zu finden. Wenn wir die Realität akzeptieren, statt uns gegen sie zu wehren, eröffnen sich neue Perspektiven und Veränderung wird möglich. Nur durch Annahme können wir mit der Unbeständigkeit umgehen und produktiv bleiben. Widerstand kostet unnötig Energie, die wir besser in Lösungen investieren können. Trotz der vielen äußeren Faktoren, die wir nicht beeinflussen können, gibt es immer noch Bereiche, in denen wir selbst aktiv werden können. Der agile Wert „Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge“ legt den Fokus genau auf diese individuelle Handlungsfähigkeit. Es geht nicht darum, sich von den äußeren Umständen lähmen zu lassen, sondern vielmehr zu erkennen, was im eigenen Einflussbereich liegt und hier zu handeln.

Der „Circle of Influence“ ist ein Konzept, das uns hilft, klar zu unterscheiden, welche Aspekte wir kontrollieren können und welche nicht. Wenn wir uns auf das konzentrieren, was wir wirklich verändern können – sei es durch kleine, aber gezielte Handlungen oder durch den Einfluss auf unsere unmittelbare Umgebung – stellen wir sicher, dass wir unsere Energie sinnvoll einsetzen. Agilität bedeutet, flexibel und pragmatisch zu handeln, um voranzukommen, auch wenn die äußeren Bedingungen uns herausfordern.

Dieser Ansatz fordert uns heraus, Verantwortung zu übernehmen und uns auf Lösungen zu fokussieren, die wir tatsächlich umsetzen können. Denn die größten Fortschritte entstehen nicht aus dem Widerstand gegen Unveränderbares, sondern aus der aktiven Teilnahme an dem, was innerhalb unserer Macht liegt. Dabei ist es auch wichtig, die eigenen Grenzen zu erkennen und sich Unterstützung zu suchen, wenn der Druck zu hoch wird – sei es durch Teamarbeit oder durch die Zusammenarbeit mit anderen. In einem agilen Umfeld bedeutet dies, sich nicht nur als Individuum, sondern auch als Teil eines Teams zu verstehen, das gemeinsam auf ein Ziel hinarbeitet.
Die Anerkennung der eigenen Handlungsspielräume und die klare Unterscheidung zwischen dem, was wir verändern können, und dem, was wir akzeptieren müssen, hilft uns nicht nur, handlungsfähig zu bleiben, sondern auch, Stress zu reduzieren und Unsicherheiten konstruktiv zu begegnen.

Setze Prioritäten und bleibe fokussiert

Die Konfrontation mit einer Vielzahl an Aufgaben kann überwältigend wirken und die Motivation stark beeinträchtigen. Das menschliche Gehirn funktioniert am effektivsten, wenn es sich auf überschaubare, konkrete Schritte fokussieren kann. In Situationen, in denen die Anzahl der Aufgaben schier endlos erscheint, ist es entscheidend, zu priorisieren und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Genau hier kommt die Backlog-Priorisierung ins Spiel. Sie hilft dabei, die wichtigsten und dringendsten Aufgaben zu identifizieren und sie in einer klaren Reihenfolge abzuarbeiten.


In agilen Teams ist es besonders wichtig, den Themenspeicher regelmäßig zu überprüfen und anzupassen. So stellen wir sicher, dass alle Teammitglieder an den Aufgaben arbeiten, die im aktuellen Kontext die größte Relevanz besitzen. Das konsequente Setzen von Prioritäten verhindert, dass sich das Team in der Flut von Aufgaben verliert und stattdessen gezielt auf die wichtigsten Ziele hinarbeitet. Diese klare Struktur steigert nicht nur die Effizienz, sondern unterstützt auch die Motivation, da der Fortschritt sichtbar wird und die Aufgaben überschaubar bleiben.


Ein weiterer nützlicher Ansatz, um Prioritäten zu setzen, ist das WIP-Limit (Work in Progress), das auf 1 festgelegt wird. So wird garantiert, dass nur an einer Aufgabe gleichzeitig gearbeitet wird. Dies fördert die Konzentration, reduziert Multitasking und verbessert die Qualität der Arbeit. Das Team bleibt fokussiert, Stress wird verringert und der Fortschritt wird transparent. Durch diese Methode entsteht ein konstanter Arbeitsfluss, der es dem Team ermöglicht, die Aufgaben effizient und mit einer klaren Struktur zu bearbeiten.

Formuliere Ziele – Klarheit für zielgerichtetes Handeln schaffen

Das Priorisieren von Aufgaben ist nur dann erfolgreich, wenn klare Ziele definiert sind. Nur so lässt sich die Relevanz von Aufgaben richtig einschätzen und in eine logische Reihenfolge bringen. Die Festlegung von Zielen ist daher eine essenzielle Methode, um Veränderungen und Herausforderungen gezielt zu bewältigen. Eine klare Vorstellung davon, was als Nächstes erreicht werden soll, erleichtert die Identifikation von Prioritäten und stellt sicher, dass alle Beteiligten auf die richtigen Aufgaben fokussiert sind.

Die Klärung der aktuellen Ziele und die transparente Kommunikation der nächsten Schritte tragen maßgeblich zur Resilienz einer Organisation bei (2). Indem die Frage nach dem Vorrang und der Reihenfolge von Aufgaben beantwortet wird, erhalten Mitarbeiter ein klares Verständnis davon, was gerade wichtig ist und wie sie ihre Energie gezielt einsetzen können. Dies gibt ihnen ein Gefühl der Sicherheit und stärkt den Zusammenhalt im Team.

Ein effektives Mittel zur Zielsetzung ist die Anwendung von OKRs (Objectives and Key Results). Diese Methode hilft dabei, klare und ambitionierte Ziele (Objectives) zu formulieren und diese mit messbaren Ergebnissen (Key Results) zu verbinden. Durch diese Struktur können Aufgaben direkt mit den übergeordneten Zielen verknüpft werden. Regelmäßige Überprüfungen der OKRs sorgen für Transparenz und bieten eine kontinuierliche Orientierung. Dies ermöglicht es dem Team, flexibel zu bleiben und sich an Veränderungen anzupassen, während es gleichzeitig mit einem klaren Fokus auf die wichtigsten Aufgaben hinarbeitet.

Perspektive schaffen – Veränderung als Chance begreifen

Die Wahrnehmung von Herausforderungen ist immer individuell und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Persönliche Eigenschaften wie Optimismus oder Pessimismus, kognitive Denkmuster, frühere Erfahrungen und der momentane emotionale Zustand beeinflussen, wie wir mit schwierigen Situationen umgehen. Es ist entscheidend, Perspektiven zu entwickeln, um Herausforderungen nicht als unüberwindbare Hindernisse zu sehen, sondern als vorübergehende Phasen, die wir meistern können.

Die Fähigkeit, Perspektive zu schaffen, bedeutet, die Aufmerksamkeit auf mögliche positive Entwicklungen zu lenken und die Hoffnung sowie Motivation zu stärken, schwierige Zeiten zu überstehen. Ein klarer Blick auf realistische Ziele und Lösungsansätze hilft dabei, sich nicht in negativen Gedankenspiralen zu verlieren. Perspektiven eröffnen den Raum für Lösungen und bieten Orientierung, insbesondere in unsicheren und herausfordernden Zeiten.

Im Kontext der Agilität ist Perspektive ein entscheidender Wert, da sie uns dabei hilft, Veränderungen nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu verstehen.

Die Dinge in die Hand nehmen! – Selbstorganisation und Selbstwirksamkeit stärken

In unsicheren Zeiten ist es entscheidend, proaktiv zu handeln und Verantwortung zu übernehmen. Selbstorganisation und Selbstwirksamkeit sind dabei zentrale Elemente, die sich gegenseitig verstärken und den Weg ebnen, Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen.

Selbstorganisation bedeutet, Aufgaben, Zeit und Ressourcen so zu strukturieren, dass man eigenständig und effizient Ziele erreicht. Dies ermöglicht es, den Überblick zu behalten und notwendige Schritte zu planen. Selbstwirksamkeit hingegen beschreibt das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, durch eigenes Handeln etwas zu bewirken. Wer an sich selbst glaubt, erkennt, dass er oder sie die Kontrolle über die Situation übernehmen kann und Verantwortung trägt.

Ein Scrum-Team zeigt sich in dieser Dynamik deutlich. Eine Person, die eher reaktiv handelt, reagiert auf Anforderungen und wartet auf Anweisungen. Dies führt häufig zu Verzögerungskosten (Cost-of-Delay) und einem Mangel an Eigenverantwortung. Im Gegensatz dazu wird eine proaktive Person aktiv, analysiert und priorisiert Anforderungen und handelt eigenständig. Sie erkennt frühzeitig Herausforderungen und geht sie aktiv an. Durch diese Handlungsweise stärkt sie ihre Selbstorganisation und hat gleichzeitig das Gefühl der Selbstwirksamkeit, da sie durch ihr eigenes Handeln Ergebnisse erzielt.

Die Mischung macht’s: Ein erfolgreiches Team benötigt ein gutes Gleichgewicht zwischen Selbstorganisation und Selbstwirksamkeit (3). Proaktives Handeln, das Setzen klarer Ziele und das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Herausforderungen zu bewältigen, schaffen Kontrolle und fördern das Vertrauen in die eigene Wirksamkeit (4). Jeder Erfolg durch Selbstorganisation stärkt das Gefühl, etwas bewirken zu können, was wiederum die Motivation steigert, noch strukturierter zu handeln. (5)

In dieser Wechselwirkung liegt der Schlüssel: Durch Selbstorganisation werden wir handlungsfähiger, und durch die Erfahrung von Selbstwirksamkeit erkennen wir, wie wichtig unser eigenes Handeln für den Erfolg ist. Auch Rückschläge sind dann nicht als Scheitern zu verstehen, sondern als wertvolle Lernmöglichkeiten, die uns dabei helfen, unsere Selbstorganisation und Selbstwirksamkeit kontinuierlich zu verbessern.

Gefühle zulassen – Emotionen als Ressource nutzen

Gefühle und Arbeit werden oft als zwei getrennte Bereiche betrachtet (6), doch in der Realität lassen sich Emotionen nicht einfach ausblenden, gerade in intensiven oder herausfordernden Arbeitsphasen. Sie beeinflussen unser Handeln, auch wenn wir sie nicht immer direkt wahrnehmen. Ein geschützter Raum, wie ihn zum Beispiel Retrospektiven bieten, in dem Gefühle offen ausgesprochen werden können, ist von großer Bedeutung. Dieser Raum fördert nicht nur das Wohlbefinden, sondern trägt auch dazu bei, Spannungen abzubauen und Klarheit zu gewinnen.

 

Indem wir die Möglichkeit schaffen, Belastendes zu teilen, verlieren diese Emotionen oft an Intensität und öffnen Platz für neue Perspektiven und Lösungen. Ein solches Vorgehen stärkt das Vertrauen im Team und gibt jedem Einzelnen das Gefühl, gehört und verstanden zu werden. Dieser Ansatz fördert eine wertschätzende Kommunikation und ermöglicht es, Herausforderungen konstruktiv anzugehen. Offenheit, Ehrlichkeit und Vertrauen bilden dabei die Grundlage, um die Perspektive wieder nach vorne zu richten und gemeinsam weiter voranzuschreiten.

In agilen Teams wird es als ebenso wichtig erachtet, Raum für emotionale Interaktionen zu schaffen wie für sachliche Entscheidungen. Hier zeigt sich der agile Wert „Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge“, da es darum geht, den Menschen als Ganzes zu verstehen und zu integrieren, anstatt sie nur als „Funktionsträger“ im System zu sehen.

Herausforderungen und Veränderung sind unvermeidlich – doch unsere Reaktion darauf liegt in unserer Hand. Indem wir Akzeptanz üben, klare Prioritäten setzen und uns auf lösungsorientiertes Handeln fokussieren, bleiben wir auch in herausfordernden Zeiten proaktiv. Agilität bedeutet nicht nur Anpassungsfähigkeit, sondern auch das Bewusstsein für den eigenen Einflussbereich.

Wenn wir Selbstorganisation und Selbstwirksamkeit stärken, können wir nicht nur unsere individuelle Resilienz ausbauen, sondern auch als Team gemeinsam wachsen. Klare Ziele, offene Kommunikation und ein bewusster Umgang mit Emotionen sind entscheidende Faktoren, um Veränderungen nicht als Hindernis, sondern als Chance zu begreifen.
Letztendlich geht es darum, den Fokus nicht auf das Unkontrollierbare zu richten, sondern aktiv zu gestalten, was in unserer Macht liegt. Denn wer sich seiner Handlungsmöglichkeiten bewusst ist und Verantwortung übernimmt, bleibt nicht nur flexibel, sondern kann Krisen als Anstoß für nachhaltige Entwicklung nutzen.

[1] Eifert, G. H. (2022). Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) (2., überarb. Aufl.). Hogrefe Verlag.

[2] BSI Group. (2014). BS 65000:2014 Organizational resilience – Guide to building a resilient organization. British Standards Institution.
[3] Brinkmann, B. J., & Schattenhofer, K. (2020). Erfolgreiche Teams in der Selbstorganisation. Vahlen.

[4] Bandura, A. (1997). Self-Efficacy: The Exercise of Control. W. H. Freeman and Company.

[5] Locke, E. A., & Latham, G. P. (2002). Building a practically useful theory of goal setting and task motivation. American Psychologist, 57(9), 705–717.

[6] Küpers, W., & Weibler, J. (2005). Emotionsarbeit und Burnout: Empirische Befunde und theoretische Perspektiven. In: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 49(2), 57-68.

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