Circa 2/3 der Bevölkerung legt Wert auf die ökologische Bilanz ihres Einkaufs. Dennoch dürfte kaum jemand den CO2-Fußabdruck seines letzten Einkaufs kennen. Wir gehen das Thema an und haben einen Plan entwickelt es zu ändern. Betrachten wir beispielsweise den Lebensmitteleinzelhandel:
- Bei der Herstellung einer handelsüblichen Packung Butter werden circa 6 kg CO2 produziert, auch Reis hat eine ähnliche Klimabilanz in Sachen CO2, während die Emissionen von Nudeln etwa dem Eigengewicht entsprechen und die
Kartoffel sich als wahrer Klimaretter entpuppt. Doch wem ist das bei seinem wöchentlichen Einkauf bewusst? Wer kennt die Klimabilanz von Gemüse, Tiefkühlpizza und Brot? - Hinreichend belegt ist Folgendes: Der menschengemachte Klimawandel ist real und direkt mit der Emission von Treibhausgasen (THG) verknüpft. Bekannt ist auch, dass entsprechende Maßnahmen von der Wissenschaft verlangt, von der Gesellschaft gewünscht und somit von der Politik – früher oder später – gefordert und gefördert werden.
Die Kausalität von Klimawandel, gesellschaftlichen Interessen, wissenschaftlichen Zielen und politischen Maßnahmen wird einer der bedeutendsten Faktoren für wirtschaftlichen Erfolg in den nächsten 20 Jahren sein.
Der Kunde spielt dabei eine elementare Rolle. Das Verlangen nach ökologischen Produkten zeigt sich branchenübergreifend. Flugscham, Grünstrom und Elektromobilität werden ihre Branchen grundlegend ändern. Die Konsumgüterindustrie hat den Öko-Trend spätestens mit dem Aufkommen der LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) vor über 10 Jahren erkannt und darauf mit Nachhaltigkeitsinitiativen reagiert. Jedoch ist sowohl auf Angebots- als auch insbesondere auf Nachfrageseite ein deutliches Ungleichgewicht zu erkennen. 73% der Bevölkerung würden für einen geringeren Umwelteinfluss wahrscheinlich oder definitiv ihr Konsumverhalten ändern, dennoch stehen
125 Mrd. € Umsatz im gesamten Lebensmittelhandel lediglich 12 Mrd. € für Bio Lebensmittel gegenüber – trotz einer Verdopplung des Umsatzes mit Bio Lebensmittel innerhalb der letzten 10 Jahre. Für dieses Ungleichgewicht gibt es verschiedene Gründe:
Informationsüberflutung: Es gibt circa 20 verschiedene Gütesiegel in der deutschen Lebensmittelbranche mit einem Bekanntheitsgrad über 10% und unterschiedlichsten Bedeutungen, die aufwendig recherchiert werden müssen. Zu viele Informationen führen häufig zu Passivität.
Bio kostet: Ja nach Produkt kosten Bio-Lebensmittel ein Vielfaches von der „Billigvariante“. Weniger als 30% Aufschlag ist eine Ausnahme. Viele können sich „Bio“ nicht leisten, einige wollen es sich nicht leisten – auch aufgrund der Intransparenz.
Komplexität der Nachhaltigkeit: Nachhaltigkeit hat viele Facetten. Innerhalb der drei Säulen Ökologie, Ökonomie und Sozial gibt es eine Vielzahl von Nachhaltigkeitskriterien, die – je nach Branche, Produkt und Zielgruppe – unterschiedlich zu bewerten sind.
Die Heterogenität von Nachhaltigkeit hindert eine Vergleichbarkeit. P3 hat auf Basis von Nachhaltigkeitsberichten im Einzelhandel einen Benchmark der Supermärkte und Discounter erarbeitet. Dafür haben wir Faktoren wie Energieverbrauch und THG-Ausstoß mit der Verkaufsfläche ins Verhältnis gesetzt.
LEBENSMITTELEINZELHANDEL IM VERGLEICH
Es zeigte sich, dass sich beispielsweise ein konsequentes Tracking des Energieverbrauchs und der THG-Maßnahmen, das Lidl durchführt, auszahlen. Eine Betrachtung der Verwendung von GRI-Kennzahlen (Global Reporting Initiative) ergab ebenfalls ein heterogenes Bild. Während Edeka und Aldi Süd lediglich 35% der relevanten GRI-Kennzahlen nutzen, wird im REWE/Penny Bericht auf 59% des Standards Bezug genommen. Bereits in dem Benchmark haben wir die Treibhausgasemissionen als wichtiges Kriterium betrachtet.
Die Ermittlung des Product Carbon Footprint (PCF) bietet mehrere Vorteile hinsichtlich ökologischen und wirtschaftlichen Handelns. Einerseits ermöglicht der PCF Transparenz und Vergleichbarkeit für Kunden, andererseits bietet er aufgrund der CO2-Bepreisung eine Risikominimierung für Lebensmittelproduzenten und Händler.
Die direkte Verknüpfung von Klimawandel und Treibhausgasemissionen ermöglichen eine politische Steuerbarkeit. Nationale und internationale CO2-Budgets bilden dabei die rechnerische Basis und die abgeleitete CO2-Bepreisung fungiert als klimapolitisches Instrument.
Nicht erst seit dem European New Green Deal sind politische Eingriffe für eine CO2-Bepreisung in Diskussion. Sowohl ein Emissionshandelssystem (EHS) als auch eine CO2-Steuer sind vorhandene umweltpolitische Instrumente. Während die CO2-Steuer auf einzelne Länder begrenzt ist, fokussiert sich das europäische Emissionshandelssystem auf die Stromerzeugung und einige energieintensive Branchen mit insgesamt knapp 11.000 Anlagen.
2010 stimmten auf der 16. UN-Klimakonferenz in Cancún 194 Staaten dem “Zwei-Grad-Ziel“ zu, fünf Jahre später vereinbarten 195 Staaten auf der Pariser Klimakonferenz eine Verschärfung auf „deutlich unter 2 °C, möglichst 1,5°C“. Um das zu erreichen, bleibt Deutschland bei einem Verteilungsschlüssel nach Einwohnern ab 2020 ein CO2-Budget von 4,2 Milliarden Tonnen CO2. Dies führte zu einem CO2-Preis von 70-130€/t CO2 im Jahr 2030 in den nicht EHS-Sektoren. Juni 2020 liegt der CO2-Preis für EHS Zertifikate bei ca. 25€ /t CO2.
Bisher ist die Konsumbranche bei klimapolitischen Eingriffen weitestgehend außen vorgeblieben – das wird sich ändern.
Mit dem Brennstoffemissionshandelsgesetz wird ab 2021 die CO2-Bepreisung auf die Sektoren Verkehr und Gebäude ausgeweitet. Darüber hinaus ist insbesondere die Landwirtschaft im Fokus klimapolitischer Aktivitäten, was eine direkte Auswirkung auf viele Lebensmittelpreise haben wird.
Auch die Europäische Kommission hat die Bedeutung ökologischer Lebensmittel für Wissenschaft und Kunden erkannt: „Die Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger entwickelt sich weiter, was erhebliche Veränderungen auf dem Lebensmittelmarkt mit sich bringt.“ Am 20.05.2020 verabschiedete die Europäische Kommission im Rahmen des New Green Deals die „Vom Hof auf den Tisch“-Strategie (Farm to Fork Strategy).
Darin bestätigt die EU Kommission jene Akteure der Lebensmittelkette zu entlohnen, die den Übergang zu nachhaltigen Verfahren bereits vollzogen haben und den anderen den Übergang zu ermöglichen, sowie zusätzliche Geschäftsmöglichkeiten zu schaffen. Weiter heißt es: „Im Wege legislativer und anderer Initiativen wird die Strategie darauf hinwirken, dass die Lebensmittelindustrie durch konkrete Maßnahmen den Verbrauchern eine gesunde und nachhaltige Auswahl erleichtert.“
Unternehmen der Lebensmittelindustrie, die sich heute auf eine CO2-Bepreisung einstellen, werden zukünftig davon profitieren. Die Voraussetzungen dafür sind in Form von Standards und Technologie vorhanden.
Product Carbon Footprints können komplexe Ausmaße annehmen. Ein entscheidender Faktor ist die Anzahl der Akteure entlang Rohstoffgewinnung, Produktion, Handel und Verkauf an den Endkonsumenten. Wir empfehlen dem Einzelhandel sich zunächst auf Eigenmarken zu fokussieren, um einen direkten Durchgriff auf den Upstream zu haben. Bezogen auf den PCF eines bestimmten Produktes gilt: Erst Transparenz schaffen, dann CO2-Emissionen vermeiden, verringern, und nur die absolut unvermeidlichen Emissionen kompensieren.
Neben dem schrittweisen Vorgehen und der bereits genannten Fokussierung auf den PRODUCT CARBON FOOTPRINT gilt es Folgendes zu beachten:
GLAUBWÜRDIGKEIT ERZEUGEN
Für den Klimawandel gelten wissenschaftliche Erkenntnisse – ebenso für die Maßnahmen gegen Klimawandel. Daher sollten sich CO2-Ziele ebenfalls an diesen orientieren. Organisationen wie die Science Based Targets Initiative (SBTi) fördern ein solches Vorgehen und bieten Unterstützung bei der Zieldefinition und Zielvalidierung.
AUF BESTEHENDE BEST PRACTICES ZURÜCKGREIFEN
Es gibt eine Vielzahl standardisierter Vorgehen zur Bewertung von PCF und Klimaneutralität. Zu den bekanntesten zählen das Greenhouse Gas Protocol (GHG), sowie die Normen PAS 2050 und ISO 14067. Die Standards bieten ein methodisches Vorgehen und somit Effizienz bei der Produktbewertung. Zudem erhöhen sie die Vergleichbarkeit zwischen Produkten und somit der Produktions- und Lieferkette. Im Konsumgüterbereich liegt ein besonderer Vorteil in der höheren Glaubwürdigkeit beim Endkunden durch die Verwendung etablierter Standards.
PRODUZENTEN, ZWISCHENHÄNDLER UND EINZELHANDEL ALS PARTNER AGIEREND
Nachhaltigkeit ist keine One-Man-Show. Für eine CO2-Transparenz braucht es die Beteiligung aller Akteure entlang des Up- und Downstreams. Im Upstream muss sich auf gemeinsame Methoden und Sekundärdaten geeinigt werden. Im Downstream können Primärdaten erhoben werden, um den gesamten Lebenszyklus abdecken zu können. Mit der Verwendung gemeinsamer Datenquellen, Strukturen und Methoden, können Initiativen entlang der Produktions-, Liefer- und Handelskette effizienter implementiert und bewertet werden.
INITIATIVEN FÜR EINEN NACHHALTIGEN LEBENSMITTELEINZELHANDEL
RENTABILITÄT BERÜCKSICHTIGEN
Viele Nachhaltigkeitsinitiativen haben langfristig einen positiven finanziellen Effekt – jedoch nicht alle! Initiativen müssen daher im Vorfeld hinsichtlich Kosten und Nutzen geprüft werden. Der Sustainability-Initiative-Index (SII) stellt die finanzielle und ökologische Wirksamkeit einer Initiative gegenüber.
DIGITALISIERUNG NUTZEN
Digitalisierung ermöglicht Transparenz und Komplexitätshandling entlang des gesamten Produktlebenszyklus. Beispielsweise kommt die Blockchain-Technologie bereits in Lieferketten zum Einsatz. Dabei können mithilfe von Hyperledger-Blockchains neben den CO2-Emissionen auch weitere Nachhaltigkeitsaspekte wie Arbeitsbedingungen rückverfolgt werden.
Im Front-End bieten Apps die Möglichkeit der unkomplizierten Einbindung von Akteuren im Upstream und Downstream. P3 hat eine App konzipiert und einen Prototyp entwickelt, anhand derer jeder Kunde den CO2-Abdruck seines Einkaufs sehen, optimieren und kompensieren kann.
KUNDENERLEBNISSE ERZEUGEN
Als essenzieller Treiber des Nachhaltigkeitstrends, kommt der Kunde heute in vielen Bereichen der Nachhaltigkeit zu kurz. CO2-Transparenz ermöglicht eine neue Dimension im Lebensmitteleinkauf. Beispiel: Über Gamification-Ansätze kann der Kunde sich mit seinen Freunden messen und durch die Transparenz in der Lieferkette rücken Konsumenten und Produzenten näher zusammen.
FAZIT
Die CO2-Thematik betrifft auch die Konsumgüterbranche. Nur so ist das wissenschaftliche, politische und gesellschaftliche Ziel der Klimaneutralität erreichbar.
Bisher beziehen sich die Aktivitäten zur Optimierung des CO2-Abdrucks überwiegend auf Logistik und Gebäudeinfrastruktur. Für den Kunden von Konsumgütern ist jedoch der CO2-Abdruck des Produktes entscheidend.
Unternehmen, die heute mit der Optimierung des CO2-Abdrucks ihrer Produkte anfangen oder bereits angefangen haben, werden kurzfristig ihr Kundenimage verbessern, mittelfristig politische Vorgaben effizient erfüllen und langfristig ihre Marktposition stärken.
Für die Etablierung des Product Carbon Footprints sind einige Faktoren zu beachten. Dazu gehört die Einbindung aller Akteure des Produktlebenszyklus und die Nutzung etablierter Standards und neuer Technologien